Manufakturbesuch: In der Metallwerkstatt von Anderl Kammermeier
In einem ehemaligen Geschützschuppen in Berlin-Moabit wird Metall zu wunderbaren Möbeln und Tabletts geformt. Wichtigste Zutat: Zeit
Es ist einer dieser Orte, die es in Berlin eigentlich gar nicht mehr gibt. Eine übervolle Werkstatt in einem alten Backsteingebäude mit Industriefenstern, umgeben von einem verwunschenen wilden Garten. Hier in einem ehemaligen Militärdepot in Moabit, jenem oft vergessenen Stadtviertel hinter dem Hauptbahnhof, arbeitet Anderl Kammermeier schon seit den Achtzigerjahren. Kunst, Kunsthandwerk, Design, etwas dazwischen macht er, so genau kann man ihn nicht festlegen. Metall, vor allem Stahl, ist sein Material. Und eine seiner wichtigsten Maximen ist, den Dingen Zeit zu lassen.
Auf einen Blick
Hier arbeitet: Anderl Kammermeier
In: Berlin-Moabit
Fotos: Hejm Interieurfotografie
Auf einen Blick
Hier arbeitet: Anderl Kammermeier
In: Berlin-Moabit
Fotos: Hejm Interieurfotografie
„In München wäre es undenkbar, so eine Werkstatt zu haben“, sagt er. Aber natürlich hat sich auch Berlin verändert, alte Industriegebäude werden längst gewinnbringend zu Luxuslofts ausgebaut, die alte Freiheit Berlins, das Lässige, Provisorische, das gibt es immer weniger, und auch das macht diesen Ort so kostbar. Manch einem gilt Moabit als neues Kreuzberg, als neues Künstlerviertel, das gerade noch im Werden ist. Die Nachbarschaft jedenfalls ist heute durchaus illuster, zwischen ganz normalen Mietblöcken und Tennisplätzen befinden sich zum Beispiel auch das Berliner Büro von Sauerbruch Hutton und das Atelier der Künstlerin Katharina Grosse.
Kunstobjekte, Möbeldesign, Raumgestaltung, Außenbereiche, Bühnenbild, Filmausstattung, eigene genau wie Auftragsarbeiten: Kammermeiers Arbeit ist facettenreich. Und sie ist im wahrsten Sinne Handarbeit, jedes Stück insofern ein Unikat – auch wenn einige in Serien gefertigt werden, wie die Gartenstühle oder die Metalltabletts, die im Eingangsbereich zur Werkstatt aufgereiht sind. Im Hintergrund wartet ein Star: Keira Knightley, fotografiert von Mario Testino. Ein Bild, das in gewisser Hinsicht auch ein Schicksalsbild für Kammermeiers Karriere war.
Das Fotoshooting für die Vogue fand 2009 in Kammermeiers Garten statt: „Es dauerte ungefähr zwei Stunden, und in dieser Zeit lag eine besondere Spannung in der Luft“, erinnert sich Kammermeier. Einer der rostigen Prototypen seines „Berliner Gartenstuhls“ diente als Requisite. „Da dachte ich mir: Wenn er für Testino ein gutes Motiv abgibt, dann lohnt es sich wahrscheinlich, das Design weiterzuentwickeln. Das hatte ich zwar ohnehin vor, aber das Shooting gab mir noch mal einen besonderen Kick“, so Anderl Kammermeier. Heute gehören die „Berliner Gartenstühle” zu seinen Bestsellern (je nach Modell 236-296 Euro).
Es gibt einige solcher Wendungen in Kammermeiers Leben. Den Stahl etwa entdeckte er erst in Berlin für sich. Als er 1983 in den Westteil der Stadt zog, begann er in einer Schlosserwerkstatt zu arbeiten. Erst durch den Zugang zu den nötigen Maschinen, den täglichen Umgang mit dem Material, begann er den Stahl zu schätzen. „Es eröffnete mir neue Möglichkeiten, die direkt auf die Möbelherstellung mündeten“, so Kammermeier. Wäre er nicht in Berlin gelandet, und nicht in dieser Werkstatt, sein Leben hätte vielleicht eine andere Richtung genommen.
Das Tablett Milu gibt es in drei Formen und diversen Größen, entweder aus Messing, Edelstahl, oder Aluminium und auch mit farbigem Linoleum belegt (je nach Material und Größe ab 91 bis 230 Euro).
Das Tablett Milu gibt es in drei Formen und diversen Größen, entweder aus Messing, Edelstahl, oder Aluminium und auch mit farbigem Linoleum belegt (je nach Material und Größe ab 91 bis 230 Euro).
Das West-Berlin der 1980er-Jahre war aufregend, es war die Zeit in der der Mythos Berlin wuchs, die Kunstszene war alternativ und lebhaft, hier erreichte auch das sperrige Neue Deutsche Design seinen Höhepunkt. Was Kammermeier damals baute – das rohe Metall, die Schleifstrukturen – passte in die Avantgarde der Zeit. Und auch die Haltung „ein Möbel nicht nur als Funktionsmöbel zu sehen sondern als Objekt, das sich auch im Raum behaupten kann, wenn es mal nicht benutzt wird.”
Im Obergeschoss der Werkstatt stehen einige Stücke aus dieser Zeit.
Im Obergeschoss der Werkstatt stehen einige Stücke aus dieser Zeit.
Die Werkstatt unten im Erdgeschoss ist ein wahrgewordener Bastlertraum, ein Wimmelbild vollgestopft mit tausend wundersamen Dingen.
Da stehen alte Motorräder auf Zwischenebenen, es gibt hunderte Metallrohre, unzählige Maschinen und Werkzeuge. Auf den ersten Blick ist diese Werkstatt ein undurchdringliches Chaos, bis man auf den zweiten die Ordnung entdeckt, die nach Größe aufgereihten Schraubzwingen, die präzise gestapelten Rohre.
Was manche Durcheinander nennen würden, ist für andere der Inbegriff für den Charme des Zufälligen, der Improvisation.
„Ich bin kein Designer, wenn man darunter Industriedesign versteht. Eher bin ich Kunsthandwerker. Oder vielleicht Kunstdesigner“, beschreibt Kammermeier seine Arbeit. Am Anfang stehe eine grobe Skizze, danach aber entwickelt er seine Arbeiten direkt auf der Werkbank. „Man fühlt, ob jemand ein Ding mit bloßen Händen gefertigt hat“, sagt er. „Und die Qualität und das Gewicht des Materials erkennt man schon, wenn man nur einen Blick darauf wirft.“ In allen Phasen des Herstellungsprozesses hat er eine Maxime: „Ich nehme mir sehr viel Zeit. Manchmal Jahre.“ Wo es ihm früher um immer neue Objekte, um Einzelstücke gegangen sei, ist heute die nachhaltige Arbeit, das detaillierte Ausarbeiten einer tragfähigen Idee zentral.
Etwas abseits des großen Werkstattbaus liegt ein flaches Nebengebäude, das Kammermeier gebaut hat, halb Werkstatt, halb wie ein kleines Café eingerichtet, ein Raum für Feste, Auftritte und Ausstellungen.
Bestuhlt ist natürlich überwiegend mit dem Berliner Gartenstuhl, den es auch in Schwarz gibt.
Neben und hinter dem Haus gibt es viele zwanglose Sitzplätze, eine Spielecke, eine Terrasse.
„Für uns – meine Frau, die Kinder und mich – ist es sehr wichtig diesen Ort wenigstens zeitweise öffentlich zu machen. Meine Frau ist auch Künstlerin, Schauspielerin, wir finden, es muss Leben und Bewegung sein, es muss etwas entstehen.“ An ein paar Sonntagen jeden Sommer teilt er diese „Oase“, dieses „letzte gallische Dorf“ daher mit Besuchern, lädt öffentlich zu Konzerten und Ausstellungen ein. So kann jeder ein Stück dieses besonderen Gefühls bekommen, ein Stück von jenem Berlin, das fast vergessen scheint.
„Für uns – meine Frau, die Kinder und mich – ist es sehr wichtig diesen Ort wenigstens zeitweise öffentlich zu machen. Meine Frau ist auch Künstlerin, Schauspielerin, wir finden, es muss Leben und Bewegung sein, es muss etwas entstehen.“ An ein paar Sonntagen jeden Sommer teilt er diese „Oase“, dieses „letzte gallische Dorf“ daher mit Besuchern, lädt öffentlich zu Konzerten und Ausstellungen ein. So kann jeder ein Stück dieses besonderen Gefühls bekommen, ein Stück von jenem Berlin, das fast vergessen scheint.
Seit 1988 arbeitet er in dem denkmalgeschützten Geschützschuppen der 6. Batterie in Moabit. Bis 1945 war das ganze Viertel Kasernengelände, später dann fand sich hier die typische Berliner Mischung aus Werkstätten, Künstlern und Designern aller Art zusammen. „Als ich das Grundstück das erste Mal gesehen habe, war ich sofort verliebt, es war völlig verwildert und zugewachsen“, erzählt er. Damals gehörte es einem Metallmaschinenhändler, als der zumachte, konnte Kammermeier das Gelände zunächst pachten, später kaufen.